Velomobil versus Rennrad

Ich kenne einen Rennradfahrer. Vor einiger Zeit erzählte ich ihm, dass ich nach der Arbeit immer mit einem »guten dreißiger Schnitt« nach Hause fahre. Den fahre er auf seinem Rennrad auch, sagte er. So trafen wir uns, um meinen Heimweg gemeinsam zu fahren.

Es war unfair: Die Strecke ist ziemlich flach und wir hatten Gegenwind. Genauer: Er hatte Gegenwind. Ein Velonaut hat keinen Gegenwind. Ich passte mich seiner Geschwindigkeit an und hatte das Gefühl, sehr locker zu radeln. Wenn es leicht bergab ging, musste ich streckenweise nicht einmal treten. Einen etwas »badewannenförmigen« Abschnitt fahre ich gerne etwas schneller. Man kommt schnell auf Geschwindigkeit, den größten Teil der Strecke halte ich etwa 50 km/h. Am Ende stoppte ich unter einem Baum, aß einen heruntergefallenen Apfel und, als ich ihn halb auf hatte, kam der Rennradler angeschwitzt.

Am Ende war ich erstaunt, dass meine Durchschnittsgeschwindigkeit nur etwas mehr als zwei Kilometer pro Stunde unter dem üblichen Wert lag, trotz der sich sehr leicht anfühlenden Fahrweise.

Jetzt habe ich Angst vor dem nächsten Treffen: Er wird mich in den Teutoburger Wald locken. Bergauf wird es mir die Lunge zerreißen und bergab werde ich mir alle Knochen brechen…

Gegenwind? Egal.

Heute hatte ich kräftig Gegenwind: Die nächstgelegene Wetterstation verzeichnete Windgeschwindigkeiten von 30 km/h, Böen bis zu 60 km/h. In Wettervorhersagesprache ist das ein »mäßiger«, »in Böen starker« Wind. Wie auch immer, mir kam es viel vor: Blätter wehten über die Straße und die Windkraftanlagen liefen auf Volllast. Und: der Wind kam genau von vorne. Mit dem Trecking-Rad hätte ich geschwitzt. Aber was zeigt mein Tacho am Ende der Fahrt? Einen Rekord: 32,6 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. (Ich habe das Mango jetzt zehn Tage.)

Mir war das schon früher aufgefallen: Mit dem Treckingrad entschied die Windrichtung über meine Durchschnittsgeschwindigkeit. Mit dem Mango hingegen bin ich morgens im Durchschnitt immer fast zwei km/h langsamer als auf dem Rückweg. Unabhängig von Windrichtung und -stärke. Was ich bisher nicht wusste und nicht ahnte: Mein Arbeitsplatz liegt etwa 25 m höher als mein Wohnort. Auf 16 km Abstand ist das mit dem Treckingrad kaum spürbar. Mir ist es nie aufgefallen. Mit dem Velomobil merkt man den Unterschied sofort! Wind hingegen, spielt so gut wie keine Rolle! – Rückenwind leider auch nicht.

Es ist da!

Und schon zählt der Tacho 350 km. Die ersten 130 km davon, meine ersten 130 km auf einem Liegerad überhaupt, fuhr ich nachts durch Gewitterschauer.

Der Reihe nach: Ich suchte ein wartungsarmes, zuverlässiges Velomobil für den täglichen Weg zur Arbeit, 18 km einfache Strecke. Der Wetterschutz stand im Vordergrund. Flott sollte es sein, aber nicht unbedingt auf das letzte km/h optimiert. Dafür sollte es auch mal einen Wald- oder Feldweg verkraften, in engen Kurve nicht stecken bleiben, und preislich im Rahmen liegen. Meine Modellrecherche führte mich auf ein Mango Sport.

Zur Probefahrt bei Drymer in Stadskanaal brachte der Verkäufer, Harry, sein eigenes, leicht gepimptes Mango mit. Die Fahrt bestätigte meine Erwartungen: Das Rad beschleunigt bis etwa 20 km/h nicht ganz so dynamisch wie ein Trecking-Rad. Danach zählt der Tacho aber munter weiter hoch: 35 km/h fand ich noch sehr komfortabel. Bei 45 km/h waren Puls und Atmung deutlich erhöht, aber nicht am Limit. Die leichte Steigung der Brücke über den Wildervanckkanaal ließ sich schneller als mit dem Treckingrad fahren: Offenbar kann bei leichten Steigungen der geringere Windwiderstand das zusätzliche Gewicht kompensieren. Auf der Oosterstraat schwamm ich mit 47 km/h im Autoverkehr mit. Meine Tretbewegungen übertrugen sich dabei etwas auf die Lenkung, so dass ich bei hoher Geschwindigkeit leichte Schlangenlinien fuhr. Wie sich später herausstellte, war das nur eine Folge meiner noch nicht ganz lockeren Haltung. Enge Kurven eines Radwegs um einen Kreisverkehr waren problemlos fahrbar. Überraschend fand ich die Sitzposition und die einfache Sitzschale: Entspannt und bequem!

Ich entschied mich  für ein Standard Mango Sport. Neun- statt zehnfach Grip-Shift Schaltung um Kosten zu senken, zusätzlich Blinker zur Sicherheit bei geschlossenem Schaumdeckel und Armstützen für die entspannte Haltung. Glücklicher Umstand: Ein Freund, der schon mit dem Gedanken an ein Velomobil spielte, war bei der Probefahrt dabei, sofort begeistert und hat sich nach kurzer Bedenkzeit ebenso eins bestellt!

Die tatsächliche Lieferzeit war mit zehn Wochen in Ordnung, zumal zwei Wochen Betriebsferien in diese Periode fielen. Etwas enttäuscht waren wir trotzdem, als der zuerst vage in Aussicht gestellte Termin um drei und dieser dann nochmal um eine Woche verschoben wurde. Und auch am vereinbarten Abholtag waren die Räder noch nicht fertig, als wir um halb elf bei Drymer ankamen. Es war interessant, zu sehen wie die Räder zusammengebaut wurden und spannend, hier und da zu helfen. Nun aber der Grund für die Jungfernfahrt bei Nacht: Als wir aus dem Tor rollten, war es 19:00!

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Fast fertig: Nur noch die Spiegel montieren und einen Klebestreifen auf die Fuge zwischen Body und Deckel kleben.

Mein Fahrrad-Navi habe ich auf den rechten Radkasten geklettet – auf dem linken ist der Tacho und die Elektroverteilung befestigt. Beides ist auch mit Schaumdeckel gut zu sehen. Trotz des Wetters bin ich den gesamten Weg im T-Shirt gefahren. Bis auf etwas Wasser, dass von der Brille tropfte, bin ich unter dem Schaumdeckel nicht nass geworden. Der Busch & Müller Scheinwerfer leuchtet hervorragend die Straße aus und ist während der Fahrt höhenverstellbar. Die Innenbeleuchtung ist sehr praktisch, um den Tacho abzulesen oder etwas im Gepäckraum zu finden.

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In Ter Apelkanaal war es noch hell und trocken. Mit Einbruch der Dunkelheit zogen einige Gewitter durch. Die letzten Stunden der Überführungsfahrt waren sternenklar.

Unsere Reisegeschwindigkeit lag auf den langen Streckenabschnitten bei etwa 33 km/h. Später haben wir Liegeradneulinge uns streckenweise bis zu 40 km/h getraut. Leider war der Akku meines Mitstreiters nicht vollständig geladen und etwa 15 km vor dem Ziel leer, so dass nur noch das Rücklicht brannte. Wir sind den Rest der Strecke langsam und dicht hintereinander über Radwege gefahren. Alles in Allem zeigte der Tacho am Ende der 139 km langen Überführungsfahrt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 27,2 km/h. Angenehme Überraschung: Wir hatten beide am Folgetag keine Muskel-, Knie- oder andere Beschwerden. Direkt nach dem ich zu Hause angekommen und ausgestiegen war, hatte ich das erwartet!

Auf dem Weg zur Arbeit hat sich das Mango Sport Nummer 417 bereits bewährt: Nieselregen, Nebel, Sonnenschein: Immer Jeans und T-Shirt. Ich bin weniger verschwitzt als auf dem Treckingrad, vor  allem weniger an den Beinen. Die Ventisit-Matte und die Löcher in der Sitzschale belüften den Rücken gut. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf meinen 18 km Abstand liegt in der ersten Woche bei 31 km/h. Mit dem Treckingrad war ich 23 km/h gewohnt. Die langen Abschnitte, die sich früher immer so zooogen, machen heute am meisten Spaß – selbst bei Gegenwind.

Hersteller und Modelle

Wo es flach ist und Wind weht, baut sicher jemand Velomobile. In der Hoffnung für andere nützlich zu sein, hier mein Rechercheergebnis:

Niederlande

Dronten auf Flevoland, das Velomobil-Mekka. Hier stellt Flevobike das Orca her. Professionell verarbeitet gehört es zu den etwas schwereren und teureren Velomobilen. Alle weiteren, hier vorgestellten, niederländischen Hersteller sind über den Verkauf von Produktrechten oder über den Wechsel von Mitarbeitern auf irgend eine Weise mit Flevobike verbunden.

Orca

Velomobiel.nl – ebenfalls in Dronten – stellt das schnelle Quest und das alltagstauglichere Strada her. Beide Fahrzeuge zeichnen sich durch 26“ Hinterräder aus. Zur Zeit entwickelt das Unternehmen ein wendiges, vierrädriges Modell.

Quest

Als dritter Hersteller in Dronten stellt Alligt bis heute einen Urvater der niederländischen Velomobile, das Alleweder aus Aluminium her. Die Bausatzversion gehört zu den preiswertesten Modellen. Alligt bietet auch eine Variante mit moderner Kunststoffverkleidung an und produziert den luxuriösen Sunrider. Auch davon gibt es eine Bausatzversion, oder eine E-Bike-Variante, die erhält man dann aber bei Aerorider in IJmuiden bei Amsterdam.

AllewederA4

Ein weiteres, schnelles und leichtes Velomobil ist das von Daniel Fenn (früher Beyss, danach Velomobiel.nl) and Ymte Sijbrandij (früher Velomobiel.nl) entwickelte DF. In die Standardversion passen nur Fahrer/innen bis 1,85 m, seit 2014 gibt es mit dem DF XL auch eine Version für längere Menschen. Mehr Infos gibt es auf der Webseite von InterCityBike in – natürlich – Dronten. Velomobil.ro ist eine rumänische Firma in der die Laminierarbeiten für Velomobiel.nl und für InterCityBike erledigt werden.

Über Harry Lieben gelangten die Baurechte für das Mango von Velomobiel.nl an Sinner Bikes uns schließlich zu Drymer in Stadskanaal bei Groningen. Das Mango ist dem Quest ähnlich, hat aber im Gegensatz dazu offene Radkästen und dadurch einen engeren Wendekreis. Alle Räder haben einheitlich 20“ Durchmesser. Das Mango Sport erkennt man gut an der geschwungenen Seitenlinie in der Verkleidung.

MangoSport

Deutschland

An der niederländischen Grenze am Niederrhein in Straelen entstehen bei Beyss Leichtfahrzeuge die schicken go-one Velomobile. Schwergewichtig sind die Räder nur im Preis.

GoOneEvoR

Die Leiba GmbH im niedersächsichen Gifhorn produziert und vertreibt eine ganze Modellreihe von vollkommen geschlossenen Alltags-Velomobilen wie dem Leiba Classic über schnellere Velomobile wie dem Leiba x-stream bis hin zu Kleintransportern wie dem Leiba Cargo.

LeibaClassic

Das Milan aus Hannover gehört zu den schnellsten und etwas teureren Velomobilen. Es hat eine tragende Verkleidung und geschlossene Radkästen. Charakteristisch sind die Kniehöcker in der Verkleidung.

Milan

In Lauenbrück zwischen Bremen und Hamburg entsteht bei Fortschritt Fahrzeugbau das Velayo, ein ausgefallenes Velomobil mit Hinterradlenkung und Vorderradantrieb!

Velayo

Eigentlich ist es ein Trike, aber mit seinem faltbaren Regenverdeck muss das KLIMAX 5K mit Elektroantrieb von HASE BIKES aus dem Ruhrgebiet auch in diese Liste.

Das Twike aus dem nordhessischen Rosenthal ist kein Velomobil. Aber bevor jemand diese Seite verlässt, um sich doch lieber ein Auto zu kaufen, dem empfehle ich vorher den Besuch der Seite mit den Elektro-Vehikeln. Da kann man wenigstens noch ein bisschen mitkurbeln.

Dänemark

Die dänische Leitra ist ein alltagstaugliches Velomobil und wahrer Klassiker. Charakteristisch sind die außen, in einer separaten Verkleidung laufenden Vorderräder.

Leitra

Tschechien

Katanga produziert die ursprünglich belgischen WAW Velomobile. Auch diese flotten Renner findet man immer mal wieder auf einer der oberen Platzierungen eines Velomobil-Rennens.

Österreich

Hinter dem martialischen Namen Interceptor verbirgt sich eine Milan-Look-Alike Trike-Verkleidung.

Ungarn

Ein urbanes Elektroleichtfahrzeug im Velomobildesign: Der Pannonrider.

Finnland

Vollverkleidungen für Liegeräder anderer Hersteller erhält man bei Arcus.

Schweden

Wem das von der Aerodynamik diktierte Einheitsdesign nicht gefällt: PodRide.

Schweiz

Schweiz? Ja, auch dort gibt es vollverkleidete Liegeräder, und zwar die einspurigen Speedbikes.

Frankreich

Auch in Frankreich ist man gerne schnell unterwegs, mit vielen Kurven, auch im Gehäuse des Mulsanne.

Italien

Das Zephyrus von Italian Dream Cycle war als Prototyp auf der HPV Weltmeisterschaft 2015 in Belgien zu sehen.

Rest der Welt

In Australien wird das Rotovelo im Rotationsform-Verfahren hergestellt. Die Konstruktion ist eher simpel mit außen geführter Kette und ohne Dämpfung aber mit der HD-PE Verkleidung gehen Dinge die mit GFK Velomobilen nicht gehen.

In Kanada, bei Bluevelo erhält man noch Velomobile, die anderswo bereits ausgestorben sind.

Peter Ginzberg aus der Nähe von New Haven (Connecticut) sucht via Crowdfunding Unterstützer/innen, um das GinzVelo zu bauen. Zur Zeit ist die Webseite besser verarbeitet, als der im Video gezeigte Prototyp.

Herstellerlisten

Auf anderen Webseiten werden teilweise sehr umfangreiche Hersteller- und Modellisten gepflegt:

Historische und aktuelle Klassiker des Velomobilbaus (Wahrscheinlich die beste Darstellung überhaupt!)

Modellübersicht eines Händlers im Schwarzwald (Umfangreiche Fotosammlung mit Beschreibungen und Links auf die Hersteller-Seiten – sehr empfehlenswert!)

Hersteller- und Importeurliste des Humen Powered Vehicles Deutschland e.V. (Einige Velomobil-Links neben vielen Liegeradlinks.)

Liste von Produzenten, Händlern, Vermietern und Zulieferern auf ligfiets.net (Eine ähnliche Liste mit Schwerpunkt Niederlande.)

Herstellerliste auf der Seite von Joachim Fuchs (Kurze, aber kommentiert Liste etablierter Velomobil-Produzenten.)

Hersteller- und Händlerliste im Wiki des Velomobil-Forums (Nach Modellen sortierte und aktuelle Liste.)

Wikipedia (Hier schaut man ja eigentlich zuerst. Fündig wird man aber nicht auf der deutschsprachigen sondern auf der englischen Seite.)

Blog von Kenneth Metcalfe (Eine Privatperson aus Barnoldswick, Lancashire, UK, pflegt eine beeindruckend vollständige Herstellerliste.)

Zubehör

Jede Menge Spezialkram für Velonautinnen und Velonauten: http://www.velomobielonderdelen.nl/

Fahrberichte

Ich konnte mir nicht die Zeit nehmen, alle Velomobilhersteller für Probefahrten abzuklappern. Fahrberichte wie dieser hier im Velomobilforum, waren daher für mich eine sehr wertvolle Informationsquelle.